Hinweis
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem nachfolgenden Auszug aus dem Buch um ein Zitat handelt.

Sollten Sie Teile des Zitates verwenden wollen, müssen Sie die Quelle benennen:

`Zitat aus der Broschüre "Ammendorf - Vom Fischerdorf zur heimlichen Hauptstadt des Saalkreises" von Klaus-Dieter Heinrich, recherchiert von Siegfried Herber und Jürgen Lange, www.ammendorf.de´

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`Zitat aus der Broschüre "Ammendorf - Vom Fischerdorf zur heimlichen Hauptstadt des Saalkreises" von Klaus-Dieter Heinrich, recherchiert von Siegfried Herber und Jürgen Lange, www.ammendorf.de´

Die Geschichte

Die Geschichte von Ammendorf ist sehr wechselhaft und interessant. Von einer kleinen Sumpfburg entwickelte es sich bis zur heimlichen Hauptstadt des Saalkreises, bevor Ammendorf am 01.07.1950 zu Halle/Saale eingemeindet wurde.
Es folgen Teile der Broschüre "Ammendorf - Vom Fischerdorf zur heimlichen Hauptstadt des Saalkreises" von Klaus-Dieter Heinrich.

 

   

 

Ammendorf

 

(Seite 1)

Mit diesem Beitrag soll ein Einblick in die wechselhafte Geschichte einer ehemaligen Saalkreisortschaft gegeben werden, durch deren Eingemeindung zu Halle/Saale am 01.07.1950 21.000 Bewohner des Saalkreises zu Halleschen Bürgern wurden und der Saalkreis sich um 1935 Hektar verkleinerte. Nach dem 2. Weltkrieg galt die Stadt Ammendorf als heimliche Hauptstadt des Saalkreises. Hier hatte bis 1949 die für diesen Kreis zuständige sowjetische Militäradministration ihren Sitz, und die Saalkreisbewohner durften ihre Bezugsscheine und Kleiderkarten nicht in Halle, sondern überwiegend in Ammendorf einlösen. Die größte Industriegemeinde des Kreises hatte am 15.02.1937 Stadtrecht erhalten. Von alters her bildet die Saale-Elster-Aue eine natürliche Grenze im Süden von Ammendorf, deren hochwasserfreie Randgebiete seit Jahrtausenden besiedelt sind. Aber auch innerhalb der Aue selbst gab und gibt es noch heute kleine Dörfer (Burg, Planena, Kollenbey und Burgliebenau).

Bedingt durch den Untergang des „Thüringer Reiches“ im Jahre 531 und die Völkerwanderung drangen in das Gebiet östlich der Saale slawische Stämme ein. Im 9. und 10. Jahrhundert, der Zeit der Ostexpansion des fränkischen, später deutschen Königs- bzw. Kaisertums, finden wir an der Südgrenze des slawischen Gaues Neletici (nördliche Begrenzung der Saale-Elster-Aue) die Orte Beesen, Ammendorf und den Burgwarthauptort Radewell. Gegenüber, am südlichen Rand der Aue, steht die Burg Schkopau und die alte Befestigungsanlage, der spätere Bischofssitz Merseburg, ein Zentrum der Ostexpansion. Das Auengebiet selbst (östlich der Saale und südlich der weißen Elster) gehörte zum Gau Chutici. Diese Grenze bestand im wesentlichen bis 1815 zwischen dem Bistum Merseburg und dem Erzbistum Magdeburg und wurde zur Landesgrenze zwischen Sachsen und Preußen. Nach dem Wiener Kongress erhielt Preußen auch das sächsische Gebiet um Merseburg. Aus den ehemaligen sächsischen Ländereien und dem preußischen Besitz um Halle und Magdeburg wurde die preußische Provinz Sachsen. Noch heute trennt das Landschaftsschutzgebiet Saale-Elster-Aue im wesentlichen Halle und den Saalkreis vom Kreis Merseburg. Jahreszeitlich sehr unterschiedlich waren die Verkehrsmöglichkeiten durch das von Überschwemmungen geprägte Auengebiet. Die „Alte Heerstraße“ (heute noch so genannt, zwischen der Bahnstrecke Halle-Kassel und der Georgi-Dimitroff-Straße) verlief von Halle (Alter Markt) über die Rannische (ursprünglich Radewellsche) Straße, den Steinweg, die Beesener und die Elsa-Brändström-Straße zur Broihanschenke. Unterhalb der ehemaligen Schenke befindet sich die 1733 erbaute Zollbrücke (Scha(a)fbrücke), über die der Weg weiter zur Fähre nach Schkopau und danach nach Merseburg führte. Bei Hochwasser in der Aue konnte diese Streckenführung nicht genutzt werden. Eine Ausweichmöglichkeit bot der Umweg über Passendorf, Holleben und Delitz am Berge nach Merseburg.

Das Hochwasser in der Aue und die durch den Umweg eingetretene zeitliche Verzögerung und Änderung der Wegstrecke (Klaustor) waren die Ursachen, dass an Stelle von Kaiser Otto ein Böllberger Müllerbursche mit seinem Esel auf der rosenbestreuten Straße durch das festlich geschmückte Rannische Tor nach Halle kam. Dieses Ereignis ist auf dem Brunnen des Alten Marktes dargestellt.

Etwa 1 km östlich der Broihanschenke liegt der alte Ortskern von Ammendorf, abseits auch der alten Salzstraße, die ca. 2 km nordöstlich vorbei führte. Diese begann in Halle am Alten Markt, verlief über die Rannische Straße (genannt nach dem Dorf Radewell), den Steinweg,

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(Seite 2)

den Rannischen Platz und der Liebenauer Straße in Richtung Radewell und Osendorf (Dreierhaus). Dieses Haus nördlich von Osendorf war die Zollstätte zur Benutzung der Brücke über die Reide. Weitere Orte an dieser Straße sind: Döllnitz, Burgliebenau, Wallendorf, Schladebach, Lützen, Gera, Hof mit dem Ziel Nürnberg bzw. Regensburg.

Im September 2006 wurde aus Anlass der 1200-Jahr Feier von Halle eine Salzstele auf dem Gelände der Broihanschenke aufgestellt. Diese soll an die Salzstraße nach Bayern und Thüringen erinnern.

Der Fischreichtum der Weißen Elster lockte sicherlich die ersten Siedler an. Bekannt ist auch die Perlenfischerei. Die Flußperlmuschel gedeiht nur in äußerst sauberem Wasser und das führte die Weiße Elster damals auch in ihrem Unterlauf. In Sachsen, am Oberlauf des Flusses, war die Perlenfischerei seit 1621 landesherrliches Vorrecht. Flussperlmuscheln gibt es auch noch heute an wenigen Stellen der Weißen Elster im Vogtland. Ammendorf ist eine deutsche Siedlung. Die sich hier niederlassende Sippe benannte das neugegründete Dorf nach ihren Stammvater Amalung (Koseform Amo). Dem heiligen Nicolaus. Schutzpatron der Fischer und Schiffer, war die erste Ammendorfer Kirche, die an der Elster stand, eine Filiale von Radewell, geweiht. Eine Wasserburg an diesem Fluss war der Sitz und das Stammschloss derer von Ammendorf, die seit 1155 urkundlich erwähnt sind. Wie die meisten Sumpfburgen, war sie von geringem Umfang und lag im nordwestlichen Winkel zwischen Weißer Elster und heutiger B 91. Den Namen „Schwarzes Schloss“ erhielt sie auf Grund des im laufe der Zeit sehr dunkel gewordenen hölzernen Baumaterials. 1264 gründete Heinrich von Ammendorf mit seinen Söhnen bei der Nicolauskapelle ein Augustiner-Mönchskloster, das bereits 10 Jahre später nach Giebichenstein verlegt und mit dem dortigen Marienkloster vereinigt wurde.

1283-1301 war ein anderer Heinrich von Ammendorf Bischof von Merseburg. Im Merseburger Dom kann man noch heute an der nördlichen Außenseite des Chorquadrates sein Bild, das zusammen mit anderen Bischhofsbildern um 1500 gemalt wurde, sehen.

1308 wurde Marquart von Ammendorf „Industrieritter“. Er tauschte mit dem Rat der Stadt Halle seinen Ammendorfer Besitz gegen hallesche Solgüter. Das war ein kluger Schachzug, denn seine Nachkommen erwarben als hallesche Pfänner große Reichtümer. Sie besaßen im Jahre 1367 13 Pfannen des Deutschen Brunnens, 40 Pfannen des Meteritz- und 61 des Gutjahrbrunnens. Die Burgen Wettin (gräfliche Unterburg und Güter) und Rothenburg wurden von ihnen gekauft.

Jakob (Koppe) von Ammendorf war der Burggraf des stets geldbedürftigen Erzbischofs Günter von Magdeburg. Dieser ernannte ihn 1410 zum Amtshauptmann von Giebichenstein und überließ ihm 1433 den verpfändeten Wald im „Kalten Tale“ bei Löbejün.

1466 wurde Ernst Nicolaus von Ammendorf Domherr zu Magdeburg.

1484 gehörten denen von Ammendorf Schloss und Dorf Rothenburg, die Unterburg Wettin, die Dörfer Dornitz nebst Sickewitz, Gollbitz, Unter-, Mittel-, Ober Edlau, Lösewitz, Zaß und dazu noch Zinsen in anderen umliegenden Dörfern.

Mit Kurd (Kunrad) von Ammendorf und Rothenburg ist das Geschlecht derer von Ammendorf, das treu zum Katholizismus und zum Erzbistum Magdeburg stand, 1550 untergegangen. Die Beisetzung erfolgte in der Familiengruft im Dom zu Halle. Die dortige lateinische Grabinschrift wurde von dem Studenten H. Werner aus Radewell in die deutsche Sprache übertragen:

„Es ruht hier Konrad von Ammendorf, letzter seines Geschlechts.
Mit Schild, Helm und Schwert bedeckt.
Mehr als 500 Jahre blühte sein Stamm,
groß, an Taten, Reichtum und frommem Sinn.
Die Burgen Rothenburg, Wettin und Pouch nannte er sein eigen.
Nebst den dazu gehörigen Gauen und Äckern.
Herr war er auch von seiner Ahnen Gesamtbesitz an der Saale.
Zwar sein Geschlecht besaß der Güter noch mehr, ohne Trug erworben,
sparsam lebte er dennoch, wie Pauli Lehre ermahnt.

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(Seite 3)

Ja, wahrhaftig, er war ein Bekenner des alten Glaubens
Und sein Beschützer vortrefflicher als alle Edelleute des Landes.
Verachtet wurde er sehr, weil er Anstoß nahm an dem Neuen.
Auf der eigenen Burg selbst war er nicht sicher.
Nächtlicherweile fliehend, war er preisgegeben den Feinden zum Raub,
unschuldig, wie er doch war, da er nie einen gerechten Grund dazu bot,
dass man Böses ihm tat...
Denn es hätte nach ihrem Stand sich in Wahrheit geziemet,
dass sie in solcher Art nicht hätten befleckt ihr Geschlecht.
Schaden nahm er nicht selbst, nur zwei seiner Diener verletzt,
wenn auch an dem geraubten Gut gar vieles dahinschwand.
An jenem Ort, wo sicher zu sein er gedachte,
wurde beraubt er von ihnen, die rechtlich zum Schutz ihm gegeben.
Ziemte doch damals von altersher Treue dem Fürsten!
Aber geduldig trug alles der wackere Held,
Gott überlassend den Lohn, der jenen geziemte.
Und die übrige Zeit seines Lebens brachte er hin nach alter Gewohnheit,
dass seinen Namen nichts konnte kohlschwarz beflecken,
bis der trauererregende Tag des 29. Novembers ihm zu sterben gebot,
ihm, dem Unverheirateten, der 70 Jahre vollendet,
und in die Gruft seiner Brüder und seines Vaters ward er geleget,
als der Christ zählte das 1550 Jahr, seitdem das Heil uns erschienen.“

Die erwähnte Beraubung ereignete sich durch marodierende Landsknechte bei der Einnahme der Stadt Halle durch Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen am 01.01.1547 während des Schmalkaldischen Krieges.

Um seine Untertanen von ihren Lasten zu befreien, heißt es, ließ er kurz vor seinem Tod deren Lehns- und Schuldbriefe in die Saale werfen.

Der Magdeburger Erzbischof Albrecht belehnte die von Kotze (Herren auf dem Rittergut Beesen) mit Ammendorf. Die Stadt Halle empfand das als Eingriff in ihre Besitzsrechte und verwickelte die von Kotzes in eine Fehde, in deren Verlauf die halleschen Stadtknechte 1426 das Dorf und das Vorwerk niederbrannten.

1387 wurde unter Herrmann von Kotze am heutigen Standort als Filiale der Mutterkirche Radewell ein neuer Sakralbau errichtet und der heiligen Katharina geweiht, der 1394 zur selbständigen Pfarrkirche erhoben wurde. Der neue Kirchenpatron von Kotze entschädigte Radewell mit 2 Mark Einnahmen in Garsena.

1441 verhandelten Erzbischof Günter von Magdeburg und Bischof Johannes Bose von Merseburg auf Schloss Ammendorf. Im Ergebnis verkaufte 1455 Erzbischof Friedrich von Magdeburg das Rittergut Ammendorf an die Vettern des Merseburger Bischofs Johannes. Die Herren von Bose erwarben später auch das Rittergut Beesen und erbauten 1504 die neue Ammendorfer Kirche „St. Katharinen", in der mehrere von ihnen beerdigt wurden. Die heilige Katharina ist die Schutzheilige des Erzstiftes Magdeburg.

Zwei Brüder der Familie von Bose teilten 1551 den Gesamtbesitz, Georg übernahm Ammendorf und Peißen, Christoph Beesen und Planena.

Die Familie von Bose ist eine alteingesessene Adelsfamilie im Hassegau. Etwa seit dem Jahr 800 hat sie Ihren Stammsitz in Frankleben (Geiselthal). Christoph von Bose erbaute den Beesener Edelhof neu, musste ihn aber 1593 an den Rat der Stadt Halle verkaufen, welcher 1594 auch Ammendorf erwarb.

Auf Grund des schlechten baulichen Zustands des Ammendorfer Schlosses und der steten Hochwassergefahr wurde der Landwirtschafts- und Brauereibetrieb, mit Ausnahme der Schäferei, in das umgebaute Haus Beesen verlegt. Der Gerichtsbarkeit des Amtes Beesen unterstanden außer Beesen und Ammendorf die

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Dörfer Planena, Pritschöna, Wesenitz und Peißen. Diese Orte bezogen ihr Bier (Broihan, Weißbier aus Gersten- und Weizenmalz gebraut) aus der Beesener Amtsbrauerei, deren Orginalausschank die Broihanschenke zwischen Beesen und Ammendorf, oberhalb der Elsterbrücke war. Der benötigte Hopfen wurde auf dem Hopfenberg (Friedrich-Rothe-Platz) angebaut. Broihan war lange ein beliebtes Getränk, bis ihm im 19. Jahrhundert die Döllnitzer Gose den Rang ablief. Das geschah nicht ohne eigenes Verschulden. Johann Philipp Ledermann, ein Brauereiknecht aus Goslar im Harz kommend, bewarb sich mit seinen Rezeptur- und Technologiekenntnissen 1824 in der Broihanbrauerei mit gleichnamiger Schänke. Ein angebotener Brauversuch zur Herstellung von Goslarer Gose (in Goslar befand sich seit dem 16. Jahrhundert eine Gosenbrauerei) wurde vom Magistrat der Stadt Halle, dem das Rittergut gehörte, verboten. J. Ph. Ledermann wanderte weiter und kam auch nach Döllnitz. Hier hatte im Jahre 1812 Johann Gottlieb Gödecke, ein Kaufmann aus Halle, das Rittergut gekauft, zu dem seit dem 16. Jahrhundert auch die Brauberechtigung gehörte. Es wurde aus Gersten- und Weizenmalz ein Weißbier gebraut, das man Broihan nannte. Auf den hier gleichfalls angebotenen Brauversuch reagierte der ehemalige Kaufmann Gödecke anders, als die Stadtväter in Halle. Im Ergebnis des Versuches wurde nur noch Gose gebraut und binnen kurzer Zeit sank der Broihanabsatz im Umkreis von Döllnitz so drastisch, dass der Rat in der Stadt Halle einen Beschluss zur Einstellung des Beesener Brauereibetriebes fassen musste.

Kurz hinter dem Ortseingang des Dorfes Döllnitz aus Richtung Halle (Osendorf) beginnt rechts von der Halleschen Straße die Ledermannstraße.

Im 30-jährigen Krieg plünderten und brandschatzten 1625 die Kaiserlichen und 1627 beschlagnahmte die Gegenseite Getreide. 1631 zogen Tillys Truppen durch den Ort und 1637 kam es zu Gewalttaten der Kroaten. Die Kirche in Beesen wurde zeitweilig als Pferdestall benutzt. Von 36 bewohnten Häusern in Ammendorf standen nach dem Krieg noch 15. Die Not war so groß, dass das Letzte gegeben wurde. So soll das ehemals Rapsilbersche Grundstück (etwa zwischen Hauptstraße und Sparkasse) für eine Schüssel Matz (Quark) eingetauscht worden sein. Es soll daraufhin als „Matzberg“ bezeichnet worden sein. Erst 1653 wurde die zerstörte Zollbrücke über die Elster durch eine hölzerne Konstruktion ersetzt und 1733 entstand die noch heute erhaltene Steinbrücke.

Die im 30-jährigen Krieg gemachten Schulden zwangen die Stadt Halle, 1655 die Rittergüter Beesen und Ammendorf an das Magdeburger Domkapitel unter Vorbehalt des Rückkaufrechtes zu verkaufen. Dieser Rückkauf erfolgte dann im Jahr 1717.

1682 wütete in Ammendorf die Pest und forderte mehr als 50 Opfer. Die Familie des Pfarrers wurde nicht verschont und Magister Trost aus Halle wurde als Pestpriester eingesetzt. 1718 veräußerte die Stadt die Güter an Generalmajor von Löben, der seinerseits die Wassermühle (Ersterwähnung im Jahr 1220) verkaufte und 1720 das Schloss Ammendorf abreißen ließ.

Herr von Löben übertrug 1726 seine Ammendorfer und Beesener Besitzungen an die Theologische Fakultät der Universität Halle. Bis zum Jahre 1788, als Halle seinen Besitz in Beesen und Ammendorf mit dem bei Veräußerungen des Domnitzer Gutes erlösten Geldes zurückkaufte, wurden durch die Theologische Fakultät

1733 die steinerne Elsterzollbrücke,

1738 das Beesener Brauhaus (Brauhausstraße) und

1756 die Ammendorfer Pfarre erbaut,

1738 die Patronatskirche zu Ammendorf erneuert und ebenfalls

1744 die 1184 erbaute Beesener Kirche.

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Während der 3 schlesischen Kriege sank auch in und um Ammendorf stark die Zahl der Bewohner, verursacht durch zahlreiche menschliche Verluste im Krieg und sächsische Übergriffe. Deshalb siedelte Friedrich der Große in Beesen 8 und in Ammendorf 6 Kolonisten an.

Große Brände suchten Ammendorf am 25.03.1754 (23 Höfe waren betroffen) und im Jahr 1777 heim (7 Häuser fielen dem Feuer in der Hauptstraße zum Opfer) Pfarrer Pollmacher starb infolge des Schreckens.

Der auf ca. 1825 Taler geschätzte Schaden des großen Hochwassers vom 22.-25.02.1799 wurde durch ein königliches Geschenk in Höhe von 486 Talern gemildert.

An dieser Stelle soll zweier Männer gedacht werden, die zu ihrer Zeit weit über Ammendorf hinaus wirkten.

1713 trat Gebhard Friedrich Christoph Meier als Pastor in Ammendorf sein Amt an. Aus der Ehe mit der Witwe seines Amtsvorgängers entstammt der am 29.03.1718 geborene Sohn Georg Friedrich Meier, der zu einem bedeutenden Professor der Philosophie der Universität Halle wurde und neben Christian Wolff als einer der bedeutendsten Philosophen seiner Zeit galt (1739 Habilitation, 1746 außerordentliche und 1748 ordentliche Professur). Der Universität gehörte er bis zu seinem Tode 1777 an.

Ihm zu Ehren setzte sein dankbarer Schüler, der spätere Universitätskanzler von Hoffmann, im Dieskauer Park eine Freundschaftsurne.

Prof. Dr. J. A. Voigt hat in seinem Werk „Skizzen aus dem Leben Friedrich David Ferdinand Hoffbauers, Weiland Pastor zu Ammendorf.
Ein Beitrag zur Geschichte des Lützower Corps“
(Halle 1869, Waisenhausbuchhandlung) das Leben seines Schwiegervaters beschrieben.

Geboren als Pfarrerssohn am 04.03.1790 in Isselhorst bei Gütersloh, besuchte er die Lateinische Hauptschule in den Franckeschen Stiftungen und begann 1811 mit dem Theologiestudium in Halle. Er folgte mit 19 anderen Studenten dem preußischen Aufruf zur allgemeinen Bewaffnung, verließ Halle am 13.02.1813 und wurde in Breslau von Turnvater Jahn dem Lützower Freikorps zugeführt.

Als Oberjäger des rettenden Jägerdetachements kam er dann wieder in die hallesche Gegend.

Über den Durchzug der Lützower erzählte er selbst:

 "Der Major von Lützow hatte im Verein mit Scharnhorst und York den Plan gefasst, den Harz zur festen Burg für die allgemeine deutsche Erhebung zu machen und von dort den Feind im Rücken und in den Flanken zu belästigen. Am 25. April 1813 brach er von Leipzig auf, wo er sein Freikorps auf 1400 Fußsoldaten und 340 Reiter verstärkt hatte. In der Richtung über Schkeuditz rückte er westwärts vor, um auf der linken Seite der Saale unbemerkt zwischen den dort näher zusammengerückten französischen Heeresteilen hindurchzukommen. Bei Schkopau überschritt er die Saale vermittelst einer Fähre.

Als das Korps hinüber war, ritt ihm Herr von Trotha, der Besitzer des Ritterguts in Schkopau, entgegen, um es zu bewillkommnen. Er war sächsischer Rittmeister a.D., und sein Wohnort gehörte damals, wie auch Korbetha und alle auf der linken Seite der Saale gelegenen Ortschaften, zum Königreich Sachsen, aber sein Herz schlug für Preußen und Preußens Sache. Er zeigte sich dem Korps in jeder Weise freundlich und behilflich und bewirtete Offiziere.

Während der Stab in der Nacht von 26. zum 27. auf dem Gute zu Schkopau war, hatte die Mannschaft zwischen diesem Orte und Klein-Korbetha ein Biwak bezogen. Hier ging es ziemlich heiter zu. Der Pastor von Korbetha, namens Pfeil, kam ins Lager, begleitet von mehreren Bauern, welche Lebensmittel brachten. Er trank mit den

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Offizieren auf das Wohl des Königs von Sachsen und brachte auch ein Hoch aus auf den König von Preußen. Weitere Lebensmittel und Futter wurden durch abgesandte Reiter aus dem nahen Planena geholt.

Schon von Leipzig aus war ein Trupp Reiter vorausgeschickt worden, um sich über die Stellung des Feindes jenseits der Saale Gewißheit zu verschaffen. Sie waren über Halle bis Teutschenthal vorgerückt und hatten dort erkundet, dass der Feind ganz in der Nähe, und zwar in Eisleben, stünde, sowie dass andere französische Kolonnen auf Wettin, Merseburg und Weißenfels vorrückten. Mit dieser Kundschaft kamen sie während der Nacht ins Biwak bei Schkopau. Lützow sah ein, dass es unmöglich wäre, auf dem eingeschlagenen Wege nach Querfurt weiter vorzudringen und entschloß sich zu einer Bewegung um die linke Flanke des Feindes. Am Morgen nach dem Biwak hieß es „Die Franzosen kommen!“ Sofort wurde der Rückzug angetreten. Da man zum Schutze des Saaleübergangs den Kirchhof von Schkopau besetzt hatte, so kam man unangefochten wieder über den Fluss. Bei der Überfahrt war Herr von Trotha abermals zugegen. Ich sah ihn zu Pferde. Vom rechten Flußufer aus marschierten wir durch die Aue neben dem dicht zur Rechten bleibenden Burgholze hin nach dem Elsterdorfe Burg und ohne Aufenthalt daselbst nach dem nahe dabei liegenden Dorfe Radewell. In einem Gehölz nördlich der Pfarre, die „Kleinen Rüstern“ genannt, wurde Halt gemacht. Von den Bauern des Dorfes wurden Lebensmittel für die Leute und Futter für die Pferde verlangt und reichlich gegeben. Von Radewell aus führte der Weitermarsch, Dieskau rechts lassend, bei dem Dorfe Bruckdorf an der Halle-Leipziger Chaussee vorbei, dergestalt, dass die äußersten Häuser abgeschnitten wurden, nach Klepzig, wo der Stab für die Nacht vom 27. zum 28. Quartier nahm, das Korps aber ein Biwak bezog. Am 28. April erreichten wir Dessau. Als wir in die Nähe der Stadt kamen, hörten wir aus der ferne Kanonendonner. Eine abgeschickte Husaren-Patrouille brachte die Nachricht zurück. Halle wäre von den Franzosen bombardiert und der Strohhof in Brand geschossen worden, aber General Kleist hatte mit 5000 Mann den Saaleübergang verteidigt gegen die von Passendorf heranrückende französische Armee. Dagegen wäre es den Feinden gelungen, bei Wettin und in Merseburg - allerdings nach hartem Kampfe mit York - die Saale zu überschreiten.“

 

Auf einem Streifzug von Havelberg über Eisleben bis Plauen haben die Lützower den Franzosen großen Schaden zugefügt, bis sie am 17.06.1813 bei Kitzen trotz abgeschlossenen Waffenstillstands, von den Franzosen überfallen und zerstreut wurden. Dabei wurde Theodor Körner („Lützows wilde, verwegene Jagd“) verwundet und viele Lützower, darunter Hoffbauer, gerieten in französische Gefangenschaft.

Nach der Freilassung beendete Hoffbauer im Mai 1815 sein Theologiestudium mit dem ersten theologischen Examen und trat umgehend als Freiwilliger in das neugegründete 8. Husarenregiment ein, mit dem er am 12.07.1815 in Paris einzog. Als Offizier entlassen, war er Lehrer an der Latina in Halle bis er im Herbst 1817 die Ammendorfer Pfarrstelle erhielt, die er bis 1864 inne hatte.

Am 17.03.1863 sollte im Gasthof „Zum goldenen Adler“ das 50-jährige Veteranenjubilaum gefeiert werden. Als die Kriegskameraden ihren Hauptmann vom Pfarrhof zum Festlokal abholen wollten, fuhr der hallesche Arzt Dr. Guticke vor, ebenfalls ehemaliger Lützower und überbrachte zusammen mit Stadtrat Kirchner die Glückwünsche des Magistrats der Stadt Halle und eine von Geheimrat Dryander abgefaßte Urkunde folgenden Wortlauts:

„Das heutige Fest zur Erinnerung an die vor 50 Jahren erfolgte glorreiche Erhebung Preußens ist zugleich ein Fest der Ehren für die Männer, welche damals auf den Ruf ihres angestammten Königes zu den Waffen eilten und mit ihrem Blute dem Vaterlande die Freiheit wieder erkämpft haben. Mit Recht haben daher König und Volk sich in dem Streben vereinigt, ihnen allen diesen Tag zu einem möglichst

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freudenreichen zu machen. Auch wir, die Vertreter einer Stadt, auf welcher während der Fremdherrschaft das Joch der Knechtschaft Jahre lang schwer gelastet, mögen dann nicht zurückbleiben. Ew. Hochehrwürden dabei zu gedenken liegt uns aber doppelt nahe. Der Ersten Einer sind Sie damals, an der Spitze einer Schaar gleichgesinnter Freunde, nicht achtend der von feindlichen Spähern drohenden Gefahren, von Halle ausgezogen, um den Reihen der Vaterlandsvertheidiger an den entfernten Sammelplätzen sich einzureihen. Sie haben dann aber auch später, von der Zeit ab. als das Schwert wieder ruhen durfte, bis jetzt, also nunmehr ebenfalls fast fünfzig Jahre hindurch, erst als Lehrer, der städtischen Jugend an der lateinischen Hauptschule in den Stiftungen A. H. Franckes, dann als Seelsorger in einer unserer Obhut anvertrauten Gemeinde fortdauernd in näherer und nächster Beziehung zu unserer Stadt gestanden, und auch auf diesen Gebieten friedlicher Thätigkeit reichen Anspruch auf unsere und des Vaterlandes Dankbarkeit sich erworben. Es gereicht uns daher zur aufrichtigen Freude, dass es uns vergönnt ist, auch Ihnen den heutigen Festtag in einer Ihrem bescheidenen Sinne willkommenen Weise verschönern zu helfen. Wir hören, dass es der sehnliche Wunsch Ihres Herzens sei, das Pfarramt, dem Sie die besten Kräfte Ihres Lebens gewidmet haben, dermaleinst in die Hände Ihres Herrn Sohnes, des jetzigen Predigers zu Groppendorf Otto Hoffbauer, übergehen zu sehen. Diesen Wunsch, so weh es an uns ist, Ihnen zu erfüllen, können wir uns um so bereitwilliger verpflichten, als Ihr Herr Sohn in einer fast zehnjährigen Amtsführung seine wissenschaftliche und practische Begabung, seine Berufstreue und die Lauterkeit seiner Gesinnung im reichsten Maaße bereits bewahrt hat und auch wir daher die vollste Überzeugung haben, dass derselbe dereinst in Ihrem Sinne und Geiste und zum Segen für die Eingepfarrten fortwirken werde.

Empfangen deshalb Ew. Hochehrwürden an dem heutigen festlichen Tage mit der Bezeugung unserer aufrichtigen Hochachtung die ausdrückliche Versicherung und Zusage, dass wir. wenn der Herr Sie von hinnen rufen, oder antretende Hinfälligkeit die Anstellung eines Adjuncten für Sie bedingen sollte, von den Hinsicht» der Kirchen zu Ammendorf und Beesen uns zustehenden Patronatsrechten ausschließlich zu Gunsten Ihres genannten Herrn Sohnes Gebrauch machen und alsdann Ihn dem Königlichen Consistorio und den Eingepfarrten zu Ihrem Nachfolger resp. Adjuncten präsentiren werden.

Möge diese Zeit noch fern sein und der treue Gott, der Sie bis hierher geleitet, Ihnen noch einen recht langen, heiteren Abend Ihres Lebens schenken.

Halle, den 17.März 1863

Der Magistrat

v. Voß, Rummel, Kirchner, Jordan, Frhr. vom Hagen, A.C. Wolff, v. Bassewitz, Dryander, Ehrenberg, Keferstein, Kaufmann“

 

Zu Beginn des Jahres 1864 erlitt Hoffbauer einen Schlaganfall und starb am 26.09.1864.

Der am 09.01.1821 in Ammendorf geborene Sohn Otto Albert Theodor Hoffbauer führte die Amtsgeschäfte allseits beliebt und geachtet in Ammendorf fort. Zu seiner Emeritierung 1888 erhielt er aus diesem Anlaß den Roten Adlerorden 4. Klasse. Während seiner Amtszeit wurden 1883 die 3 Kirchenglocken umgegossen. Die größte von ihnen war beim Einläuten des Erntedankfestes 1882 gesprungen. Folgende Inschrift erhielt die größte der 3 umgegossenen Glocken:

So oft ich werde klingen.
So oft komm', um zu singen.
Zu beten und zu hören.
Was Gottes Wort will lehren.
Wer glaubt und folgt dem Wort.
Wird selig hier und dort.

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Der Umguss erfolgte in der Glockengießerei Ulrich in Laucha/Unstrut. Diese Glockengießerwerkstatt ist seit 1932 als technisches Museum eingerichtet. Sie bietet einen anschaulichen Überblick zu diesem alten Handwerk und kann auch heute noch besichtigt werden. Im Schaukasten ist u.a. die Lieferung der 3 Glocken 1883 nach Ammendorf verzeichnet. An F.D.F. Hoffbauer erinnert noch heute eine Steinplatte an der Westseite des Ammendorfer Pfarrhauses.

Die Grenzlage des preußischen Ammendorf zu Kursachsen änderte sich mit den Ergebnissen des Wiener Kongresses 1815, als Sachsen einen Großteil seines Gebietes auf Grund des Bündnisses mit Napoleon an Preußen abgeben musste. Zeitz, Weißenfels, Naumburg und Merseburg wurden preußisch und Ammendorf lag direkt auf dem geplanten Weg nach Halle. 1817-1819 baute man die neue Merseburger Chaussee (die heutige B 91) mitten durch den Ort. Sie führt vom Riebeckplatz in Halle schnurgerade auf den Ammendorfer Kirchturm zu, um nach einer Links- und Rechtskurve die Saale-Elster-Aue zu erreichen. Von Ammendorf bis Schkopau sollte damit der Verkehr unabhängig vom Hochwasser zu jeder Jahreszeit möglich sein. Die Weiße Elster musste dann gleich hinter Ammendorf und die Saale vor Schkopau überbrückt werden. Ein hochwasserfreier Damm wurde zwischen den Brücken errichtet, der seinerseits mit 3 Flutdurchlassbrücken über die natürlichen Flutrinnen ausgerüstet wurde. Nach der Elsterbrücke folgten die „Zigeunerbrücke" über die Beberitzke, die Vierzehnjochbrücke über die schwarze Lache und die Fünfzehnbogenbrücke über die Gerwische (Steinlache). Die Chaussee wurde mit hohen, italienischen Pappeln bepflanzt und stellte einen echten, aber kostspieligen Fortschritt im Nord-Süd Verkehr dar.

Die 5 Brücken auf einer Strecke von ca. 2 km sollten mit dem besten Material, Sandstein aus Nebra gebaut werden. Als die Hälfte des benötigten Steinmaterials auf Pferdewagen angekommen war, merkte man, dass es sehr teuer wurde. Die Frachtkosten von Nebraska waren höher, als der Materialpreis selbst. Gespart wurde, indem man den roten Sandstein aus Nebraska nur für die beiden Flussbrücken verwendete und die drei nur zeitweilig wasserführenden Flutbrücken aus dem weichen, weißen Sandstein errichtete, der ganz in der Nähe bei Korbetha gebrochen wurde. Diese Brücken zeigten etwa 100 Jahre später deutliche Verschleißerscheinungen und wurden ein sicherheitstechnisches Problem. Eigentümer war inzwischen nicht mehr der Staat Preußen, sondern die Gemeinde Ammendorf, die sich mit den Kosten der Sanierung befassen musste.

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass der Bauführer Flachmann, der den Brückenbau geleitet hatte, von den Resten des Baumaterials, für das sich keiner interessierte, ein Bauerngut an der Ecke der heutigen Hohe Straße / Regensburger Straße erbaute. Es wurde später von Guido Teichmann niedergerissen und an gleicher Stelle entstand zum großen Teil wieder aus dem billigen Material ein Prachtbau „Teichmann' s Hotel“, der noch heute dort steht. An dieser neuen Fernstraße lag nun plötzlich die alte Ammendorfer Erbschenke, die davon enorm profitierte.

Im Teilungsvertrag der Gebrüder Bose von 1551 ist die Erhaltung einer Erbschenke zu Ammendorf festgelegt. Diese lag am Ostende des damaligen Dorfes südlich des Weges nach Radewell (heute Regensburger Straße). Mitte des 18 Jahrhunderts wird diese Schenke in einem Zinsregister des Amtes Beesen als „Die Kümmelbüchse“ genannt. Um Ammendorf wurde zu dieser Zeit mit Erfolg Kümmel angebaut und den Namen hat sie sicherlich von den hier fleißig verkehrenden Studenten der 1694 in Halle gegründeten Universität erhalten. Die Räumlichkeiten waren dem sprunghaft anwachsenden Fernverkehr nicht gewachsen, denn oft blieben 20 Fuhrwerke über Nacht. Aus diesem Grunde wurde der an der Straße liegende Pferdestall als Gasthaus „Zum goldenen Adler“ eingerichtet. Später in „Volkshaus“ umbenannt, war der Standort südlich des nach1904 erbauten Eckhauses mit Ladengeschäft

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(Merseburger- / Regensburger Straße) gegenüber „Teichmann' s Hotel“. Das alte Gasthaus „Kümmelbüchse“ war die spätere Stehbierhalle zwischen diesem Eckhaus und der Gaststätte Volkshaus.

Am 06.07.1846 verlor die neue Fernstraße bereits wieder an Bedeutung durch die Eröffnung des Abschnitts Halle-Weißenfels der Thüringischen Eisenbahn, deren Strecke bis Großkorbetha bereits 1868 zweigleisig ausgebaut war. Parallel zur Chaussee entstand östlich ein ähnlich kostspieliger Bahndamm zwischen Ammendorf und Schkopau. Ammendorf erhielt 1871 eine Haltestelle, die wegen des großen Verkehrsaufkommens 1878 Station 2. Klasse wurde. Für 500 Taler verkaufte das Stadtgut Beesen einen halben Morgen Acker zur Realisierung des Vorhabens. Zu dieser Zeit hatte Ammendorf mehr Personen- und Güterverkehr, als die Stadt Merseburg.

Eine dritte effektive Nord-Süd Verbindung wurde 1902 mit der elektrischen Straßenbahn Halle - Ammendorf - Schkopau - Merseburg geschaffen, deren Depot und Kraftzentrale, die auch an Private Strom für Beleuchtungs- und Arbeitszwecke abgab, sich in Ammendorf befand.

Auf Grund der im 19. Jahrhundert entstandenen äußerst günstigen Verkehrslage und der in der Nähe gefundenen Braunkohle begann die sprunghafte Industrialisierung. 1856 wurde nordöstlich von Ammendorf begonnen Braunkohle untertage abzubauen. Der Schacht erhielt den Namen „Grube von der Heydt“ zu Ehren des damaligen Ministers für Handel und Gewerbe in Preußen. Es wird gesagt, dass A. Riebeck das Vorkommen entdeckt hat, einer der ersten Bergbeamten hier.

Im Jahre 1858 stellte man an diesem Ort die erste deutsche Brikettpresse auf. eine Erfindung des Ingenieurs Exter aus München. Eine Nasspresse folgte 1880 mit einem 600 m langen Trockenschuppen. Bereits 1891 gab es 3, 1897 4 Brikettpressen auf der Grube. Der Kohlezuführung dienten 3 Drahtseilbahnen. Eine schmalspurige Pferdebahn zum Bahnhof wurde durch ein normalspuriges Anschlussgleis ersetzt. Der weitergehende Abbau erfolgte in Richtung Osten im Tagebau.

Diese günstige Brennstoffquelle veränderte nicht nur die Art des Hausbrands, sondern war auch Voraussetzung zur Ansiedlung verschiedener Industriebetriebe.

Ton, den man im Abraum der Schächte am Dreierhaus bei Osendorf fand, wurde in den Ziegeleien von R. Loesche, E. Ochse, Gottschalk und Huffziger zu Mauersteinen und Dachziegeln verarbeitet.

In der Aue bestanden bereits 2 Ziegeleien die bei Planena (Schaaf´sche Ziegelei, im Dezember 1917 von Halle nach 100 Jahren Produktion aufgekauft) und die an der Schkopauer Saalebrücke seit 1862. Dazu kamen die neuen Produktionsstätten von E. Ochse /Teichmann, die von Gölicke und bei Beesen die von Gaudig / Sonnemann. Die Ziegeleien in der Aue profitierten zusätzlich vom fetten Auelehm.

Alle 5 sind nach dem I. Weltkrieg abgebrochen worden, teils aus Kohlemangel im Krieg, aber auch auf Grund des berechtigten Interesses der Stadt Halle, die ihr Leitungswasser aus der Aue über das seit 1868 bestehende Wasserwerk in Beesen bezog. In den entstehenden Gruben bildeten sich stehende Gewässer, die die Wasserqualität ungünstig beeinflussten. Nach dem Deutsch - Französischen Krieg von 1870 / 71, in den so genannten Gründerjahren, siedelte sich die chemische Industrie in Ammendorf an.

Eine Paraffinfabrik entstand nördlich der Fabrikstraße und auf dem Gelände der „Habämfa“ (Hallesche Bäckereimaschinenfabrik, vorm Rausch und Filbry. gegr. 1919) befand sich zuvor eine Produktionsanlage für künstliche Düngemittel (besonders Knochenmehl). Hoppe und Röhming gründeten im Jahre 1889 die Dachpappenfabrik. Die notwendigen Teerprodukte wurden selbst erzeugt und nebenbei entstanden Naphthalin und Kohlenwasserstoffe. Grundvoraussetzung für dieses Werk waren auch die ausgedehnten Kies-

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und Sandlager im Umfeld. In der Chemischen Fabrik Julius Jacob wurde seit 1902 Schwefelkohlenstoff hergestellt.

Das zur Chemischen Fabrik Buckau gehörige Werk Ammendorf wurde 1895 angelegt und hat ca. 330 Beschäftigte. Zur chemischen Industrie gehört auch die Druckfarbenfabrik der Gebrüder Hartmann und die chemische Wäscherei Mauersberger

1910 war an Industrie vorhanden:

1 Waggonfabrik (Gottfried Lindner AG)

2 chemische Fabriken

1 Asphaltwerk

1 Buchdruckerei

1 Dampfkesselfabrik

1 Maschinenfabrik

1 Stärkefabrik

2 chemische Wäschereien

1 Molkerei

1 Seilfabrik

1 Seifenfabrik

1 Likörfabrik „Störtebecker" (gegründet nach 1910)

mehrere Feilenschleifereien. Zementwaren- und Kunststeinfabriken und die Mühlenwerke (1898 war die nach dem 30-jährigen Krieg wiedererrichtete Elstermühle abgebrannt und im Jahre 1900 wurde der heutige Bau errichtet).

Die Waggonfabrik (1823 in Halle in der Steinstraße 9 von Sattlermeister Gottfried Lindner als Wagenfabrik gegründet und am 27.01.1899 durch einen Großbrand zerstört) entstand durch Verlagerung und Neubau in Ammendorf (1900 arbeiteten bereits 300 Beschäftigte). Zeitweilig war die Waggonfabrik der größte Karosseriebaubetrieb in Europa und wurde bekannt durch den Straßenbahn- und Eisenbahnwaggonbau. Nach dem 2. Weltkrieg sind China und die Sowjetunion ausschließlich mit Langstreckenwagen aus Ammendorf beliefert worden.

1912 beschäftigten die größeren und kleineren Fabriken, sowie gewerbliche Unternehmungen 2.200 Arbeiter.

Ammendorf selbst entwickelte sich schnell. Neue Straßen, Wohnhäuser und städtische Bauten entstanden und es entwickelte sich eine entsprechende Infrastruktur mit unterschiedlichen Verkaufseinrichtungen und Fachgeschäften. Zahlreiche Veranstaltungen fanden in den Gaststätten statt.

Bedingt durch die Ausdehnung der Industrie- und Wohngebiete waren zu dieser Zeit die unbebauten Flächen zu den Nachbarortschaften verschwunden. Am 01.04.1917 wurde Beesen eingemeindet und am 01.05.1920 Planena mit 118 Einwohnern. Der größte Zuwachs aber erfolgte am 01.06.1920 durch die Eingemeindung der industrialisierten Gemeinden im Osten von Ammendorf: Radewell mit 2598, Osendorf mit 2005 und Burg mit 177 Einwohnern.

Auf die Entwicklung der neuen Ortsteile soll im Folgenden eingegangen werden.

Beesen (1146 Beissen, 1184 Bizeme)


Auf Grund steinzeitlicher Funde kann man von einer vorzeitlichen Besiedlung ausgehen. Der Name wird gedeutet als der eines Mannes Biso oder Bisimo. Im 5. Jahrhundert lebte der Thüringerkönig Bisino und vielleicht stand auf dem steilen, von der Elster umflossenen Hügel an der Stelle des heutigen Rittergutes eine seiner zahlreichen Burgen. Die Bevölkerung ernährte sich zu einem großen Teil vom Fischfang.
Am 26.09.1184 übereignete Erzbischof Wichmann seinem neugegründeten Moritzkloster in Halle die Kirche in Radewell mit deren 3 Kapellen zu Döllnitz, Wörmlitz und Beesen.
Nach dieser Urkunde wurden die Wendendörfer Planena, Malderitz (Wüstung nahe der
Elstermündung), und Kriemtz (nordöstlich des heutigen Rosengartens) der im Schutz der Burg gebauten Kapelle unterstellt.
Von Radewell aus wurde die Beesener Kapelle (der Schutzheilige ist unbekannt) mit einem eigenen Pfarrer ausgestattet und 1307 stiftete Pfarrer Fridericus aus Radewell eine ewige Lampe.
Die Kirche liegt im Westen des Dorfes und ist oft erneuert und umgestaltet worden. Die jetzige Gestalt stammt aus dem 18. Jahrhundert, durchgeführt unter dem Patronat der theologischen Fakultät der Universität Halle (siehe Ammendorf). An der Stelle des heutigen Gutshofes stand nach der Unterwerfung der slawischen Bevölkerung das feste Haus der Ministerialen, der Herren von Beesen. Noch heute hat man von hier einen herrlichen Fernblick über die gesamte Auenlandschaft.
Günstig wirkte sich die Lage an der bereits beschriebenen alten Heerstraße aus. In Kriegszeiten dagegen war diese Lage sehr problematisch, was sich besonders im 30-jährigen, aber auch im 7-jährigen Krieg (1756-1763 - 3. Schlesischer Krieg) zeigte.
1298 wird Conrad von Bezeme als Zeuge erwähnt und nach 1370 hat Fritz von Beesen
nachweislich nicht unerheblichen Besitz im Ort. Ende des 14. Jahrhunderts ist die Familie nicht mehr in Beesen ansässig (1380 Basso von Beesen), sondern hat Besitz im nördlichen Saalkreis.
1560 ist Jobst von Beesen in Dammendorf ansässig. 1469 Hans und Rula von Beesen in Schwerz und im 17. Jahrhundert spätere Nachkommen in Reideburg und Roitzsch
Das Geschlecht stirbt 1682 mit Hans Conrad auf Reideburg und seinem Sohn aus. Beide starben an der Pest. Am Ende des 14. Jahrhunderts sind die Herren von Kotze die Hauptbelehnten in Beesen. Neben denen von Beesen haben aber auch andere Ministeriale Besitz im Ort, z.B. die Patrizier Schwarz, Hans Zinsdorf, Peter Brant und die von Dieskau.
Die von Kotze versuchten von Beesen aus ihre Macht auszudehnen und den anderen
angesehenen Adelsfamilien derer von Ammendorf, von Krosigk und von Trotha nachzueifern.
Sie waren dem Erzbischof treu ergeben und treten wiederholt als Hauptleute der Burg
Giebichenstein auf. Besitz hatten sie in Niemberg, Eismannsdorf, Brachstedt, Plösnitz,
Hordorf, Giebichenstein, Böllberg, Wörmlitz, Planena und Malderitz. Außerdem gehörten ihnen Anteile an den halleschen Solequellen Deutscher Born, Meteritz- und Hackeborn.
1387 verleiht ihnen Erzbischof Albrecht das Dorf Beesen mit Ober- und Untergericht sowie die zu Giebichenstein gehörigen Besitzungen. Nachdem auch Ammendorf zum Besitz gehörte, beendete die bereits beschriebene Fehde mit der Stadt Halle den Aufstieg der Familie von Kotze.
Die weitere Entwicklung der Ortschaft ist bereits im Zusammenhang mit Ammendorf
dargestellt.
Interessant ist noch, daß Pächter am Südhang des Gutsberges vor dem 30-jährigen Krieg Wein angebaut haben, von dem sie einen Tal an die Stadt Halle abführen mußten. Sie führten den Titel „Ratsweinmeister“.

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Von anderer Art war der Reichtum des Rittergutes, der erst im 19. Jahrhundert erkannt wurde, als viel Land an die Kohlengrube von der Heydt bei Ammendorf verpachtet wurde. Spuren des Kohleflözes, das seinen Ausläufer unterhalb der Broihanschenke zeigt, erwähnt bereits der hallesche Chronist Dreyhaupt.


Planena


1184 wird in einer Urkunde Blonene (serbisch Blone = Aue) der Beesener Kirche unterstellt und hat jährlich einen Scheffel Roggen und Gerste zu liefern. In einer 2. Urkunde vom 27. April 1211 wird zusätzlich noch die Abgabe von 2 Hühnern von jedem Hof, der keine Hufe hat, zu Maria Geburt befohlen. Der Ortsname bedeutet altsorbisch etwa„Überschwemmungswiese" und ist sicherlich nicht falsch für diesen Ort inmitten der stark hochwassergefährdeten Saale-Elster-Aue. Das Dorf ist ein „Slawischer Rundling“, d.h. die Häuser sind kreisförmig angeordnet, mit nur einem Zugang, in diesem Fall von Westen. Alt Planena ist das typische Beispiel für ein solches Dorf, das vor mehr als 1000 Jahren im Sumpf, Wald und Überschwemmungsgebiet der Saale und Elster als Zuflucht der Sorben vor den Deutschen entstand.
Ringsum nach außen gelegen sind die Gärten der Häuser. Früher umgab der Haßgraben das Wendendorf. Um 1440 hatte die Siedlung 7 Höfe und um 1600 gab es 10 Wohnstätten.
Vollständig im Wald und zwischen Flüssen versteckt, blieb es, eine große Seltenheit, im 30-jährigen Krieg gänzlich verschont. Im Jahre 1750 waren 13 Feuerstätten vorhanden.
Eine ständige Bedrohung stellte das Hochwasser dar, so daß die Bewohner oft einige Wochen abgeschnitten waren.
1817-1822 wurde die Saale von Halle an aufwärts und weiter die Unstrut bis Artem schiffbar gemacht und deshalb bei Böllberg und Planena eine Schleuse angelegt.
Das vorerst letzte große Hochwasser in der Aue war im April 1994.
(Bericht Mitteldeutsche Zeitung vom 18.04.1994, Seite 14)
Im Jahre 1997 gibt es in Planena noch immer eine Dorfstraße. Sie hat heute 13 Hausnummern und 45 Einwohner und ist der kleinste Stadtteil von Halle.

 

Osendorf

Osendorf ist eine alte Siedlung mit prähistorischen Spuren und Funden um den alten Ortskern an der Elster und dem Platz des abseits gelegenen ehemaligen Dreierhauses. Man fand unter anderem eine große, slawische Begräbnisstätte und 1906 aus der Zeit um 500 n. Chr. (fränkische Zeit) ein gut erhaltenes, vornehmes Frauengrab.
Die ältesten Schreibarten des Ortsnamens sind Ossendorf, Oszendorf, Ostendorf. Auch ein Ministerialiengeschlecht nannte sich von Ossendorf.
Besonders das Moritzkloster hatte von seinem benachbarten Klosterhof in Radewell ausgehend seinen Besitz nach Osten ausgedehnt. Im Jahre 1492 erhielten die Mönche vom Erzbischof Friedrich alle Gerichte und Rechte in Dorf und Feld Ostendorf. Nach Einziehung kamen die Güter 1519 an das Neue Stift und kurz danach an das Amt Giebichenstein. Die Güter des Erzbischofs wurden 1650 nebst Dorf sowie Burg und Radewell mit allen Gerichten und Zubehör an den Geheimrat Karl von Einsiedel auf Döllnitz verkauft und kamen aber später wieder zurück zum Amt.
Im Jahr 1740 legte man im Ort ein Fasanengehege an, das von einem Unterförster beaufsichtigt wurde. Ihm unterstanden um 1785 auch die Böllberger, Radeweller und Trothaer Gehölze.

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Später wohnte der Förster im Radeweller Forsthaus, um die Fasanerie im Burgholz zu beaufsichtigen. Die Forststraße in Radewell nennt sich nach dieser Försterei. Die Fasanenjagd war zu dieser Zeit sehr beliebt.


Um 1785 hatte Osendorf 16 Häuser und 88 Einwohner und es begann langsam ein sprunghaftes Wachstum
         1825 17 Häuser und 85 Einwohner
         1865                            165 Einwohner
         1885                            444 Einwohner

Der Bergbau in der Gemarkung war die Ursache, daß sich der Ort immer mehr vergrößerte. Verloren ging der ländliche Charakter und ausgehend vom alten Ortskern an der Elster entstanden Wohngebäude in 2 Straßenzügen nach Norden bis zur Landstraße und auch diese wurde integriert. Das ehemals abgelegene Dreierhaus war nach Abschluß der Bebauung in diese einbezogen und hinter ihm erstreckte sich nördlich seit 1853 die Braunkohlegrube „Hermine Henriette“ der Riebeckschen Montanwerke mit Teerschwefelei. Paraffin- und Solarölfabrik. 1915 waren zusätzlich 4 Ziegeleien ansässig. Hunderte von Arbeitern wohnten im Dorf und fanden Arbeit. Die Einwohnerzahl stieg auf 2000 und man plante den Bau einer eigenen Kirche und einer eigenen Schule für die ca. 500 Kinder, die täglich nach Radewell gehen mußten.
Das Dreierhaus war von alters her die Zollstätte des Erzbischofes bzw. des Amtes Giebichenstein. Bereits im Mittelalter führte die alte Salzhandelsstraße, beginnend am alten Markt in Halle, über die Rannische (Rodewellsche- oder Randische- = Radeweiler-) Straße aus dem Rannischen Tor über den Steinweg der befestigten Siedlung Glaucha durch deren Oberrannisches Tor (Rannischer Platz) entlang der noch heute so genannten Liebenauer Straße. Der Straßenname gibt einen Hinweis auf die weitere Streckenführung. Die heutige Merseburger Straße zwischen Riebeckplatz und Ammendorf wurde etwa auf halber Strecke überquert und vorbei am „Bäumchen“ das Dreierhaus an dessen westlicher Seite erreicht. Südlich der Zollstätte führte die Straße weiter in Richtung Osten über Döllnitz, Burgliebenau, Wallendorf, Schladebach, Lützen und Gera weiter über Hof nach Nürnberg bzw. Regensburg. Man sagt, daß Fuhrleute auf dieser Straße bei der Überquerung des Erzgebirges die dortigen Silbererzvorkommen entdeckt haben.
Bei der Einreise erhob das Erzstift an dieser Zoll- und Geleitstätte (hier wurde 1710 der Gasthof zum Dreierhaus gebaut) für jedes Pferd einen Dreier. Diese Örtlichkeit lag damals abseits jeder menschlichen Siedlung einsam im Felde. Die Zolleinnahme wurde an Ministeriale verpachtet, z.B. 1381 an die von Dieskau. Das Amt Giebichenstein erhob den Zoll bis zum Jahr 1815, als nach dem Wiener Kongress Merseburg preußisch wurde. Mit dem Bau der neuen Straßenverbindung Ammendorf- Schkopau - Merseburg 1817/1819 und dem bald darauf beginnenden Eisenbahnbau verlor die alte Handelsstraße ihre Bedeutung.
Das erwähnte „Bäumchen“ befand sich etwa 2 km nordwestlich vom Dreierhaus einsam auf dem Feld an der Landstraße nach Halle. Es war weithin sichtbar und ein Merkzeichen für Fuhrleute, ein Wahrzeichen für die Orte um Ammendorf.
Der Sage nach wurde es von einem fremden Fuhrmann als Erkennungszeichen auf das Grab seines Sohnes gepflanzt, den er an dieser Stelle überfahren hatte. 1909 fiel das Bäumchen einem Tagebau der Kohlengrube von der Heydt zum Opfer. Diese Grube erhielt den Namen „Das Bäumchen“.
Eine weitere Erinnerung lebte bis 1945 im Straßennamen „Bäumchenstraße“ (heute die Jonny-Scheer-Straße in Radewell).
Die alte Streckenführung in nordwestlicher Richtung, ausgehend vom Dreierhaus, und die verlängerte, dem Rittergut Radewell gegenüber beginnende Jonny-Scheer-Straße, dürften sich etwa an einem Punkt in 2 km Entfernung vom Dreierhaus treffen.

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Der ehemalige Bäumchenstandort befand sich nördlich der heutigen Halde, die erst in der jüngsten Geschichte infolge des Bergbaus entstanden ist.

 

Burg

Südlich von Radewell, gleich hinter der Weißen Elster und mitten im Überschwemmungsgebiet, liegt das kleine Dorf Burg (Burg bei Radewell, Burg in der Aue). Bei Hochwasser ist es ebenso von der Umgebung abgeschnitten wie der Ort Planena. Erst im Jahr 1913 erbaute man den Laufsteg von der Elsterbrücke nach Radewell. Im Jahre 2001 wurde ein Damm errichtet, damit Fußgänger und Fahrzeuge jederzeit sicher den Ort erreichen können.
Die Siedlung entstand vermutlich bereits im 1. Jahrhundert n. Chr., als die Hermunduren hier ein Heerlager im Krieg gegen die Chatten anlegten. Daraus soll sich die spätere Befestigungsanlage entwickelt haben. Uralte menschliche Besiedlung bezeugt eine hier gefundene Rennfeuerstätte zur Eisengewinnung aus Raseneisenerz.
Für die Bedeutung des Ortes sowie für seine Wichtigkeit und Befestigung spricht sein Bestand über die Jahrhunderte inmitten des Hochwassergebietes. „In der Burg“ nannte man die Siedlung im Mittelalter und noch heute. Damit wurde ausgedrückt, daß man eine ganz bestimmte Burg meinte, die feste, wichtige Burg des Ortes Radewell, ehemals königlicher Besitz von Otto I. und als Schenkung an das Magdeburger Moritzkloster, dem Zentrum der Ostexpansion und Christianisierung der Slawen, 973 am 05.06. durch König Otto II. bestätigt.

Pagum igitur seu regionem Neletici nominatam in Orientale partem Sale fluminis sitam, in qua civitates (Burgward) Gibikonsten (Giebichenstein) et Dobrogora (Gutenberg) et Rodobile habentur cum salina sua (Salzwerk und Siedlung Halle).

 

Die Schenkung an das Kloster erfolgte zur Sicherung der Südgrenze des Neleticigaues. Diese Burg war zuvor eine große slawische Wasserburg, die mitten auf einer Elsterinsel lag. Der südliche Elsterarm ist noch heute erkennbar. Sie war ringsum von Wasser, Sumpf und Wald gedeckt. Ein 4-5 Meter hoher und oben 2 Meter breiter Wall umgab den Ort, Teile sind noch erkennbar. Innerhalb stand das Heiligtum der Slawen und ihre Siedlung. Unter Heinrich I. wurde ein fester Burgwart eingeteilt, zu dem z.B. Ammendorf, Osendorf und Döllnitz gehörten. Ein Burgwart war im frühen Mittelalter der zu einer Burg bzw. einem festen Platz gehörige Verwaltungs- und Gerichtsbezirk, besonders in Grenzgebieten. Die Erzbischöfe belehnten Ministeriale und so besaß u.a. der hallesche Patrizier Rathmar vom Steine das Gut, welches „in der Burg“ heißt. Er schenkte es am 24.08.1240 dem Georgen-Nonnenkloster in Glaucha. Das Kloster baute den Besitz aus und erwarb den angrenzenden Wald, das Burgholz.
In direkter Nachbarschaft, in Radewell, hatte das Montzkloster einen großen Klosterhof und im Jahr 1319 bewilligt Erzbischof Burkhard den Kauf eines Vorwerks in der Burg von den Gebrüdern Hun. 1406 erwirbt das Moritzkloster vom Erzbischof selbst alle Zinsen, Lehen, Hufdienste, Gerichte in Feld und Dorf sowie Holz,Werder und Viehtriften für 22 Mark. Weiteren Besitz kaufte es im Jahr 1418 von den Herren von Nordhausen, die 1444 ihren gesamten Besitz in der Burg an das Kloster verkauften. 1423 treten die von Kotzes ihre Zinsen in der Burg und ihr Lehen, den Mönchen ab. Sie werden entschädigt mit Besitzungen in Ammendorf und Beesen.
Die Mönche des Moritzklosters hatten dank kluger Politik eine Vormachtstellung gewonnen. 1447 mußte Erzbischof Friedrich einen Vergleich stiften, denn die Mönche verlangten auf Grund der erkauften Hoheitsrechte über den Ort auch den Zehnten von den Nonnen. 1469 wurde erneut geschlichtet wegen Holz und anderer Güter der Nonnen. Die Gerichtsbarkeit der Dörfer Burg und Osendorf wurde im Jahr 1462 durch den Erzbischof dem Montzkloster bestätigt, das diese bereits über seine Besitzungen in Radewell ausübte. Bei der Aufhebung des Klosters durch Kardinal Albrecht, gelangte der gesamte Besitz an das

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Neue Stift, später an das Amt Giebichenstein und von diesem wieder an das Nonnen Kloster Glaucha als Leben. Nach dessen Auflösung im Jahr 1568 fiel der Besitz an das Amt wieder zurück.
1597 brannte der gesamte Ort Burg völlig ab. Das Gut mußte wegen Verschuldung verkauft werden und kam 1617 an Hauptmann Bartenstein. Von dessen Erben kaufte es 1656 Karl von Einsiedel auf Döllnitz und schlug es seinem Rittergut zu. Die Familie Einsiedel ließ im Jahr 1711 das alte Herrenhaus in der Burg bauen. Später wurde das Gut wieder selbständig. Durch Verlegung der Wirtschaftsgebäude nach Radewell war zuvor das dortige Rittergut entstanden. Durch teilweise Einebnung der Wallanlage befindet sich der Boden des Dorfes jetzt ca. 1,5 Meter über dem Auenniveau. Das bedeutet für den Ort selbst eine relative Hochwasser-Sicherheit.
Der Zugang über die Elsterbrücke ist der ehemalige, einzige Zugang in das Kastell und heute ins Dorf. Nach einem kurzen Weg stößt man senkrecht auf die einzige Straße, die links als Sackgasse endet und rechter Hand in einen Feldweg mündet.
Für die Unterhaltung des Zugangs mit der Brücke war bis ca. 1860 das neuentstandene Rittergut, später dessen Besitzer Nette in Radewell und danach dessen Nachfolger, die Riebeckschen Montanwerke, zuständig.
Der Amtsrat Nette verkaufte im Jahr 1913 an die Stadt Halle die Auenfelder (ca. 390 Morgen) für 341 000 Mark zur Vergrößerung des Wassergewinnungsgelandes des Beesener Wasserwerkes. Den Rest der Flur kauften die Riebeckschen Montanwerke zum Kohleabbau für 379 000 Mark.
Die mansfeldische Familie Nette besaß u.a. auch seit den 80-iger Jahren des 19. Jahrhunderts das Rittergut in Steuden zwischen Halle/Saale und Querfurt. (Die Vorbesitzer waren v. Helldorf, v. Biesenroth und v. Böse).
An der Kanzel der Kirche St. Briccius in Halle-Trotha ist eine kleine silberne Platte befestigt mit der Aufschrift „Geschenk der Frau Amtsrat Marie Nagel, geb Nette, aus Beesenstedt -Trotha, im März 1912“. Friederike Henriette Marie Nette hatte am 24.07.1873 in Beesenstedt Karl Friedrich Wilhelm Nagel geheiratet. Die Familie Nagel war bis 1918 Großgrundbesitzer in Trotha und die Familie Nette bis 1945 in Beesenstedt.

 

Radewell

Radewell hat im frühen Mittelalter wohl die bedeutendste Rolle im Umkreis gespielt Wie bereits im Abschnitt Burg erwähnt, bestätigte Otto I. 973 die Schenkung seines Vaters an das Magdeburger Moritzkloster.
Zahlreiche ur- und frühgeschichtliche Funde belegen die Besiedlung seit uralter Zeit Hier siedelten Kelten, Germanen, Slawen.
Ab etwa 900 begann das sächsische Königs- und Kaiserhaus die Expansion nach Osten über die Saale in slawisches Siedlungsgebiet. Die hier ansässigen Stämme hatten ihrerseits etwa um 600 von Osten her die Saale erreicht. Die Burg bei Radewell war eine mit Palisaden versehene Sumpfburg, deren Bedeutung und Stärke dadurch ausdrückt wird, daß sich der Begriff „Burg“ bis heute als Ortsname selbständig erhalten hat. Die Burg und das Rittergut Radewell gehören zusammen und ihr entstammt das Geschlecht der Herren von Rodewell, die in den halleschen Schöffenbüchern verzeichnet sind. Hier war ein Burgwarthauptort im Neleticigau, dessen Bedeutung die oben genannte Urkunde dadurch um erstreicht, daß mit den beschriebenen 4 Orten, die Schenkung vollständig dargestellt ist.

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Über den Ortsnamen gibt es verschiedene Meinungen. Rodobile laut Urkunde von 973 konnte aus der Übergangszeit der slawischen und deutschen Herrschaft stammen. Später gibt es die Herren von Rodewell.
Radewell war die christliche Urgemeinde im südlichen Nelelicigau und früh, nach 1100, entstand die Kirche. Sie unterstand dem Magdeburger Moritzkloster, daß für die Christianisierung der slawischen Gebiete östlich von Elbe und Saale zuständig war. Interessant ist der Standort außerhalb des bereits bestehenden Ortskernes, ein Zeichen für die zeitliche Abfolge In Orten, die nach der Christianisierung meist zugleich mit einer Kirche entstanden, ist diese integriert und befindet sich im Zentrum.
Die Kirche St. Wenzel ist so angelegt, daß sie für Radewell und Burg als fester Bezugspunkt in Erscheinung tritt. Im Schutze der Burg reichte ihr Einfluß nach Osten bis Wesenitz. Dazu gehörten Lochau, Osendorf, Döllnitz, Wörmlitz, Beesen und Ammendorf. Die in Lochau neu erbaute Kirche wurde 1167 selbständig.
Im Jahr 1184 wurden die Filialkirchen in Döllnitz, Wörmlitz und Beesen erwähnt und zusammen mit ihrer Mutterkirche durch Erzbischof Wichmann dem neu gegründeten Moritzkloster in Halle übereignet.
Die 1387 erbaute Ammendorfer Kirche erhielt 1389 die Selbständigkeit und 1394 die Zustimmung dazu vom Moritzkloster.
Der reichen Radeweller Kirche stand ein Klosterpfarrherr vor, der sie verwalten ließ, zum Beispiel um 1217 durch Johannes in Rodewelle.
So wie das Kloster versuchte, im Umfeld von Radewell seinen Einfluß zu vergrößern, bemühte es sich auch innerhalb des Ortes. Durch Kauf oder Schenkung, auf gütlichem Wege oder mit sanftem Zwang, vergrößerte es sich erfolgreich, bis zuletzt das ganze Dorf mit allem Zubehör Klosterbesitz war. In den Jahren 1221 und 1239 ließ sich das Kloster seinen Gesamtbesitz, darunter Radewell, vom Erzbischof bestätigen. Der Ritter Zoernitz wurde u.a. per Urteilsspruch zur Zahlung des Zehnten von seinem Garten in Radewell gezwungen. Für 131 Mark kauften im Jahr 1315 die Mönche das Gut zu Radewell von den Brüdern Heinrich und Theodor von Koethen. Weitere Zugänge erfolgten 1319, 1324, 1364 und 1374. Systematisch wurden die Besitzungen von Laien aufgekauft oder diese davon verdrängt. 1400 gab es nur noch 2 Höfe in Radewell, die nicht dem Kloster gehörten. Durch den Erwerb der hohen und niederen Gerichtsbarkeit im Jahr 1462 im Ort, in Burg und Osendorf wurde die Macht gefestigt.
Einzig die Herren von Kotze widerstanden den Expansionsbestrebungen des Klosters. In einem Streit über die Weiderechte in der Aue kam es 1423 zu einem Vergleich, in dem das Kloster 3 Höfe und 2,5 Hufen Land in Ammendorf, sowie eine Wiese zum Lehen geben mußte. Kontrolliert und bewirtschaftet wurde der reiche Besitz durch einen Klosterhof, der nach der Reformationszeit an das Rittergut Döllnitz verkauft wurde. Er hat in der Nähe der Kirche gelegen.
Kardinal Albrecht, der Gegenspieler Luthers, hat die reichen Besitzungen eingezogen und diese dem neugegründeten Neuen Stift in Halle zugeschlagen. Danach kamen sie an das Amt Giebichenstein.
1650 erfolgte der Verkauf des alten Klosterbesitzes an den Geheimrat Kurt von Einsiedel auf Döllnitz. Später kam das Anwesen zum Amt zurück.
Um 1400 bestanden in Radewell etwa 30 Höfe. Zu dieser Zeit war es ein großes, vielleicht das größte Dorf im Saalkreis. In der Schenke stand bis 1532 der Gemeindebackofen. Danach erhielten die Bewohner die Freiheit, ihren eigenen Backofen zu bauen. Besonders einträglich war die als bedeutend bezeichnete Viehzucht in der Elsteraue.

Die Bevölkerung entwickelte sich wie folgt:
1555 20 Höfe
1600 24 Höfe
1750 24 Höfe

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1785 34 Feuerstätten 173 Einwohner
1885 713 Einwohner
1905 2002 Einwohner
1910 2618 Einwohner

An die Befreiungskriege 1813 erinnerte bis zum Jahr 1920 die "Körnerlinde", nördlich der Kirche, an der Südseite der heutigen Regensburger Straße. Dieser Baum und eine einfache Steinbank bewahrten das Andenken an die Rast der Lützower Freikorps. Theodor Körner war Adjutant des Majors von Lützow, am 27.04.1813 in dem ehemaligen kleinen Gehölz, die "Kleinen Rüstern" (siehe Beitrag aus dem Leben von F.D.F. Hoffbauer). In einem Gewittersturm 1912 stark mitgenommen, wurde die Linde 1920 böswillig in Brand gesteckt und vernichtet.
Südlich der Regensburger Straße befindet sich auch der alte Dorfplatz, inmitten des älteren Tals der Siedlung mit dem Bauernstein. Dieser Findling aus der Eiszeit ist ein Denkmal der Rechtsgeschichte. An solchen Orten wurde Recht gesprochen und verbindliche Absprachen getroffen. In diesen flächig bearbeiteten Stein innerhalb der dreieckigen Straßeninsel des alten Dorfplatzes, wurde nach 1945 das Goethezitat aus Faust II


„Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muß.”

eingemeißelt.
(Das vollständige Zitat:
„Das ist der Weisheit letzter Schluß,
nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
der täglich sie erobern muß”)


Dem Pfarrhaus, einem der ältesten Gebäude im Ort schräg gegenüber, steht auf der nördlichen Straßenseite der Regensburger Straße die 1897 gebaute Schule. Dieser umfangreiche Komplex wurde der durch die Industrialisierung stark gestiegenen Bevölkerung gerecht. Von Grund auf instand gesetzt, bot sie zu ihrem 100-jährigen Jubiläum ein herrliches Bild, das die Möglichkeiten zum Ausdruck brachte, die bestehen, wenn ein Wille vorhanden ist.
1915 gab es eine Chemische Fabrik, eine Hufeisen- und Federfabrik sowie eine Fabrik zur Herstellung von Kunststeinen und eine Rohpappenfabrik innerhalb der Gemarkung Radewell.
Die bedeutendste, größte und bekannteste Industrieanlage im Ort war die sogenannte Ammendorfer Papierfabrik. 1897 als Aktiengesellschaft gegründet, befand sie sich in günstiger Lage zu Kohle und Wasser ( Weiße Elster ). Sie verfügte über einen direkten Gleisanschluß nach Ammendorf. Begonnen wurde 1898 mit 2 Papiermaschinen, zu denen 1905 eine dritte und 1907 die vierte kam. 1917 umfaßte die Anlage 110 000 Quadratmeter von denen 12 000 bebaut waren. 8 Häuser mit 50 Wohnungen wurden für Arbeiter und Angestellte geschaffen und eine eigene Feuerwehr ( 33 Mann ) sorgte für die Sicherheit. Mit der Fertigung von ca. 25 000 Tonnen Papier im Wert von 5 Millionen Reichsmark pro Jahr verdienten sich ca. 320 Arbeiter und Angestellte ihren Lohn bzw. ihr Gehalt ( 670 000 Mark in Summe pro Jahr ).

Die bereits erwähnte Kirche ist romanisch und im 12. Jahrhundert erbaut. Der in der Barockzeit (1680) umgebaute Chor ist jetzt gerade geschlossen. Im gleichen Jahr wurde die Sakristei angefügt und das Glockengeschoß errichtet.

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Vor diesen Umbau muß man sich die Kirche entsprechend ihrer Funktion als Wehrkirche mit sehr kleinen Fenstern und einer hölzernen Balkendecke vorstellen.
Der ursprüngliche, heute noch gut erkennbare Eingang an der Nordseite, wurde an die
Südseite verlegt.
Neueren Datums ist auch der westliche Anbau als Eingang am Turm und der damit
verbundene Durchbruch der nunmehr im Inneren sich befindenden Westwand des Turmes, ebenso die damit zusammenhängenden Aufgänge zur Empore.
Der heutige Fußboden liegt ca. 1,5 m über dem ursprünglichen Niveau.
Romanische Bautechnik ist besonders am Turm zu sehen. Im Inneren bemerkenswert sind die Schachbrettkämpfer an der romanischen Doppelarkade zwischen Schiff und Turm. Der Kanzelaltar stammt aus dem Jahr 1720. Es ist möglich, daß es sich bereits um einen Nachfolgebau einer ursprünglich hölzernen Kirche handelt. Die Kirche selbst ist die älteste im südlichen Teil des ehemaligen Neleticigaues und nach all diesen Jahren ist es heute kurz vor 12 für sie. Aus welchen Gründen auch immer nicht durchgeführte bauliche Erhaltungsmaßnahmen gefährden ihren Bestand akut. Nach der möglichen baulichen Sicherung gäbe es im Inneren noch vieles zu tun und zu entdecken. Die Südwand läßt einen kleinen Teil der romanischen Ausmalung erkennen und unter dem Farbanstrich der Empore ist nachweislich mehr als graue Farbe zu finden. Von der Instandsetzung von Orgel, Uhr und Glockenstuhl ganz zu schweigen.
Die Kirchenbücher sind ab 1589 erhalten (am längsten im Umkreis). Die Namen der Pfarrer von 1589 - 1914 nennt eine im Jahr 1926 erstellte Tafel in der Sakristei.
Am 04.05.1930 erfolgte die Einweihung der durch die Firma W. Sauer Frankfurt/Oder
erweiterten Orgel der Firma Wilhelm Rühlmann aus Zörbig.
Drei von der Stephanus Gemeinde Halle/Saale gekaufte Hartgußglocken wurden am
30.09.1972 im Turm eingebaut. Die alte in Halle/Saale 1706 gegossene Bronzeglocke wurde an die Ev. Kirchengemeinde Anderbeck bei Halberstadt verkauft.


Radewell. Stonehenge und Santiago de Compostella - ein Zusammenhang?

Professor Heinz Kaminski, Direktor des Institutes für Umwelt- und Zukunftsforschung, hat sich mit dem frühgeschichtlichen Kultraum in Deutschland und Europa beschäftigt und festgestellt, daß bereits in megalithischer Zeit (4000 - 1500 v.Chr.) die überregionalen Kultstätten systematisch durch West/Ost und Nord/Süd Linien verbunden waren. Er kommt zu dem Schluß, daß sich die heutige Ordnung West- und Mitteleuropas auf die von ihm Stonehenge/Wormbach-System genannten, megalithischen Kultstatten gründet, die noch heute bedeutende christliche Zentren, Bischofssitze, Großstädte u.a. darstellen.
Die verbindlichen Kultlinien oder Sternenstraßen haben eine Netzstruktur und werden von ihm als megalithische Pilgerstraßen bezeichnet (Pilger, lateinisch „peregrinus” der von Ort zu Ort ziehende Fremde).
Es kommt hier eine über Jahrtausende reichende Tradition in Bezug auf die „Heiligen Orte" über das christliche Mittelalter bis heute zum Vorschein.
Die damals schon bedeutenden Kreuzungspunkte, Kultzentren, Ansiedlungen und Orte der Stemenstraßen 1. Ordnung in West/Ost und Nord/Süd Richtung waren von hohem Rang. Ur-Ptarreien, karolingische Kapellen, frühromanische Basiliken u.a. kennzeichnen den Fortbestand dieser megalithischen „Orte der Kraft" In der frühen Phase der Christianisierung nutzte man diese traditionelle kultische Organisationsform und überbaute die Orte mit einer christlichen Kirche. Die neue Religion

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wurde in das vorhandene geographische System eingefügt, wie auch das Kirchenjahr an die bestehenden Feiertage angeglichen wurde.

In West/Ost Richtung sind 4 Sternenstraßen 1. Ordnung ausgewiesen. Von Süd nach Nord folgende:
42,88 Grad Nord (u.a. Santiago de Campostella, Grotte von Lourdes)
45,60 Grad Nord
48,41 Grad Nord
51,18 Grad Nord (u.a. Stonehenge, Wormbach, Naumburg, Borna, Meißen, Bautzen, Görlitz, Breslau)

In Nord/Süd Richtung von West nach Ost
4,67 Grad West
1,84 Grad West (Stonehenge)
0,16 Grad Ost
2,70 Grad Ost
4,10 Grad Ost
6,00 Grad Ost
8,25 Grad Ost 10,00 Grad Ost 11.81 Grad Ost (u.a. Merseburg, Naumburg, Gera, Regensburg, Freising, Padua)

Man darf sich die Orte nicht exakt auf einer Linie vorstellen. Je nach Bodenrelief betragen die Abweichungen bis zu 60 km. Naumburg z.B. weicht mit 51,15 Grad Nord 3.3 km ab. Für den interessierten Leser ist das Buch zu dem hier behandelten Thema im Quellenverzeichnis aufgeführt.

  • Im Rahmen der Geschichte und Vorgeschichte von Radewell möchte ich in diesem Zusammenhang auf folgende Fakten hinweisen.
    Im Krieg gegen die Chatten legten die Hermunduren im 1. Jahrhundert n.Ch. auf dem Gelände des heutigen Ortsteils Burg ein Heerlager an.
  • Während der slawischen Siedlungsphase war der heutige Ortsteil Burg eine Wasserburg mit Heiligtum.
    973, zur Zeit der ersten urkundlichen Erwähnung, ist Radewell Burgwarthauptort (Verwaltungszentrum), d.h. lokales Zentrum, aufbauend auf der in slawischer Zeit gewachsenen regionalen Struktur.
  • Im Zuge der Ostexpansion und der Christianisierung entsteht außerhalb der vorhandenen Burg und des bestehenden Ortes Radewell eine christliche Stätte, eventuell ein Vorgängerbau der heutigen Kirche, die als Urgemeinde ein Einzugsgebiet von Wörmlitz bis Lochau und Wesenitz umfaßt und als Zugeständnis an die slawische Bevölkerung St. Wenzel geweiht wird.

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  • Die geographischen Koordinaten der allen Wehrkirche in Radewell:

12,0° Ost ; 51.48°N

  • Die entsprechenden Sternenstraßen sind

11,81 °Ost
Radewell 12,00° Ost
Merseburg 12,00° Ost
51,18° N Stonehenge, Wormbach, Naumburg, Meißen, Bautzen, Görlitz, Breslau
11.81° Ost,
51,18°N 51,17°N 5I,15°N 51,12°N 51,14°N 51,13°N 51,12°N
Gera 12.08° Ost
Regensburg 12,10° Ost
Freising 11,74° Ost
Padua 11,85° Ost

  • Im Mauerwerk der Südwand des Kirchenschiffes befindet sich die Abbildung einer Muschel. Nach Auskunft der Franziskaner Mönche in Halle ist das ein Zeichen darin, daß die Kirche an dem allen christlichen Pilgerweg des Mittelalters nach Santiago de Compostella liegt.


Es sind bemerkenswerte Fakten, die auf einen zeitübergreifenden Zusammenhang schließen lassen.

Das Jakobusgrab in Santiago de Compostella war das beliebteste Ziel mittelalterlicher Wallfahrer. Jakob wurde als Heiliger der Pilger verehrt und selbst als Pilger in Reisekleidung mit Pilgerhut und Jakobsmuschel dargestellt.
Vielleicht faßt sich der Eine oder Andere ein Herz und denkt auch ohne den Hintergrund der Konfession an den Erhalt der wenigen alten Kulturdenkmale in seinem nahenu Umfeld Alteingesessenes und neu angesiedeltes Handwerk. Gewerbe und Industriebetriebe konnten sich ein Beispiel am Ziegeleibesitzer Richard Loesche nehmen. Mit den Steinen seiner Ziegelei wurde die noch heute nach ihm benannte Straße gebaut. Er stiftete das rechts neben dem Altar befindliche Bleiglasfenster in der Ostwand. Es erinnert mit Inschrift noch heute an ihn.
In einer Zeit, wo man nicht mehr existente Kirchenbauten wieder erstehen läßt, sollte es doch möglich sein, vorhandene zu erhalten und wie im Fall der Ammendorfer Kirche, die gerade noch baulich gesichert, als Hülle erhalten aber nicht mehr zugänglich war, zu bewahren und als Stätte der menschlichen Kultur zu erhalten. Die Verantwortung liegt bei der heutigen Generation, denn manches ist später nicht mehr nachzuholen.
Soll das, was Jahrhunderte bereits überdauert hat in dem Zeitraum verfallen, dessen Gestaltung unsere Aufgabe ist.
Die in den Jahren 2004 bis 2007 erfolgte Rekonstruktion ermöglicht nun wieder den Besuch und das Abhalten von Gottesdiensten.

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Am 15.02.1937 erhielt die Großgemeinde Ammendorf mit 15.000 Einwohnern auf Grund einer Verfügung des Oberpräsidenten der Provinz Sachsen das Stadtrecht.
Ammendorf kann sich zu dieser Zeit z.B. mit Sangerhausen vergleichen. Als größte
Gemeinde des Saalkreises hatte es mehr Einwohner als die Städte Wettin, Könnern und Löbejün zusammen.
Die Entwicklung zur Stadt kann am besten in einem Rückblick auf die letzten Jahrzehnte
erfolgen.
Es gab inzwischen mehr als 50 Straßen und ein städtisches Erscheinungsbild nebst der
dazugehörigen Infrastruktur hatte sich herausgebildet. Ein Gemeinde-Gas-Werk war
entstanden und seit 1899 sorgte eine Freiwillige Feuerwehr für die notwendige Sicherheit. Die Straßen waren gepflastert und mit Wasserleitungen und Kanalisation versehen. Eine Kläranlage sorgte für die Reinigung des Abwassers. Vorhanden waren ein Postamt 2.Klasse nebst Fernsprechamt, Apotheken, Polizeistation, Sanitätswache mit Krankenwagen und Ortsomnibusverkehr. Seit 1928 besteht der Sportplatz und seit 1937 das Sommerbad Ammendorf.
Am Bahnhof selbst mündeten die Anschlußgleise einer chemischen Fabrik, einer Rohpappen- und einer Papierfabrik sowie der Riebeckgrube "Hermine Henriette" in Osendorf. Es bestand der Plan, diese Strecke bis Schkeuditz zu verlängern. Südlich des Bahnhofes selbst ersetzte man den schienengleichen Überweg in Richtung Radewell durch eine Straßenunterführung.
Der Bahnhof war aber auch der Ort, an dem die erste elektrische Weichenstellung ausprobiert wurde, die allen späteren als Vorbild diente.
Vom 28.09.-01.10.1924 fand eine Ammendorfer Gewerbe- und Industrieausstellung statt.
Noch bessere Verkehrsanbindung erhoffte man sich vom geplanten Elster-Saale-Kanal (ausgeführt und heute noch existent, aber unvollendet und somit wirtschaftlich ungenutzt zwischen Leipzig und Merseburg, sowie zwischen Halle und Halle-Neustadt) und von der geplanten Straßenbahnverbindung Ammendorf-Schkeuditz. 1927 wurde mit dem Vorhaben begonnen, der Gebäudeerwerb wurde forciert sowie Erd- und Brückenbauarbeiten in Angriff genommen. Das Projekt war zuvor durch den 1.Weltkrieg und die Inflation verhindert worden. Oberbaumaterial und Gleise waren auf Zwischenlagerplätzen angeliefert, als die Weltwirtschaftskrise erneut und nunmehr endgültig die Ausführung verhinderte. Mit Teilen des Materials wurden zwischen Ammendorf und Schkopau die Gleise aus der Straße genommen und über eigene Bahnkörper geführt, desgleichen zwischen Schkopau und Merseburg.
Günstig für die weitere Entwicklung, auch im Hinblick auf die Bevölkerung, hat sich der im Jahre 1916 begonnene Bau der Leunawerke und des in Vorbereitung des 2. Weltkrieges entstandenen Bunawerkes bei Schkopau ausgewirkt.
An Bildungseinrichtungen bestanden 3 Volksschulen, 1 Mittelschule, die erste auf dem Land im gesamten Regierungsbezirk, 1 Gewerbeschule sowie eine Volksbücherei.
Die Gewerbe- oder Fachliche Berufsschule, hervorgegangen aus der Fortbildungsschule, die erste ihrer Art im Saalkreis, hatte 1924 700 Schüler, die von 5 hauptamtlichen und mehreren nebenberuflichen Lehrkräften unterrichtet wurden.
An dieser Stelle ein kleiner Rückblick auf die Entwicklung des Schulwesens.
Seit 1835 besitzt Ammendorf eine eigene Schule. Bis zu dieser Zeit gingen die Kinder in die nachweislich schon vor dem 30-jährigen Krieg bestehende Schule nach Beesen.
Erbaut wurde das erste Schulhaus auf der Anhöhe östlich der Kirche, die seither als
„Schulberg” bezeichnet wird. Die ersten Lehrer waren Katecheten und sie unterrichteten die Kinder bis zum 12. Lebensjahr.
In die Schule nach Beesen gingen die Kinder mit 13 und 14 Jahren.

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1867 wurde die Ammendorfer Katechetenstelle in eine "konfirmierte" Lehrer- und Küsterstelle umgewandelt. Auf Grund der beständig zunehmenden Schülerzahl mußte 1868 das einstöckige Schulhaus verlängert und erhöht werden, doch auch das reichte bald nicht mehr aus. Halbtagsunterricht war die Lösung für die einklassige Schule, in der alle Mädchen und Jungen vom 6.-14. Lebensjahr gleichzeitig unterrichtet wurden.
So waren die Schulverhältnisse, als 1876 Gustav Lilie das Amt eines Lehrers und Kirchners übernahm. Bis zu seinem Tod 1923 wuchs das Lehrerkollegium auf 50 Personen an, bedingt auch durch die Eingemeindung von Beesen und Radewell.
1880 begann der Bau eines neuen Schulhauses auf dem „Küsterberg“, ausgeführt von Maurermeister Friedrich Friedrich aus Radewell für 18.000 M (heute rechter Rathausflügel). Die Einweihung fand am 03.04.1881 statt. Zwei Lehrer unterrichteten in 3 Klassen, ab 1886 wurde ein 3. Lehrer eingestellt. Der bisherige „Erste Lehrer und Kantor“ Lilie wurde Hauptlehrer. 1899 schaffte man durch Einziehung der Dienstwohnung des 2. Lehrers Raum für die 4. Klasse nebst Lehrer. Infolge des schnellen Wachstums der Schülerzahl mußte ständig erweitert werden.
1901 Anbau des östlichen Schulflügels, Kosten 16.000 M
1907 Anbau der nördlichen Verlängerung (heute linker Rathausflügel).
Fortbildungsschule. Kosten 40.000 M
Zwischen 1910 und 1920 arbeiteten an der Schule 10 Lehrer und 3 Lehrerinnen. 1927 wurde die neue Schule in der heutigen Kurt-Wüsteneck-Straße erbaut und gleichzeitig die vorhandene Schule zum Rathaus umgebaut. Bemerkenswert ist der Rathausmittelturm, der die unterschiedlichen Etagenhöhen der Seitenflügel ausgleicht.

Ammendorf war nicht nur zur größten, sondern auch zur wohlhabendsten Gemeinde im Saalkreis geworden. Die Einwohner profitierten von verschiedenen Wohnungsbauförderungen und von kostenlosen Lernmitteln für alle Schüler.

Der Ammendorfer Kirchturm diente als trigonometrischer Punkt, 95,383 m über NN.

Die im März 1921 Mitteldeutschland erschütternden Streiks und Kämpfe zwischen Arbeitern und Schutzpolizei fanden zum Teil auch in Ammendorf statt. Auf die politischen Zusammenhänge kann hier an dieser Stelle nicht eingegangen werden.

In einem kurzen Abriß ist folgendes zu berichten

  • Anfang 1919 Gründung der KPD Ortsgruppe Ammendorf
  • März 1919 erste Unterbezirkskonferenz der KPD Halle-Saalkreis im Dreierhaus in Osendorf unter Teilnahme von Walter Ulbricht
    • Juli / August 1919 Max Hoelz hält im Auftrag der KPD Versammlungen u.a. in Halle, Ammendorf, Merseburg, Leuna und Umgebung ab.

27.03.1921 am Ostersonntag Max Hoelz und die Genossen Laucke und Bowitzki von der Bezirksleitung der VKPD beschließen in Schraplau alle erreichbaren Kämpfer zusammenzuziehen und über Ammendorf nach Halle vorzustoßen.

Zwischen 800 und 2.000 bewaffnete Arbeiter, die Zahlenangaben schwanken, erreichten am Morgen des 28.03.1921 Ammendorf und besetzten es. Eine auf dem Gut Beesen stationierte Schupohundertschaft wurde eingeschlossen, Postamt, Bahnhof und Stellwerk besetzt und die Bahnbrücke über die Straße nach Radewell teilweise gesprengt. Geiseln wurden festgesetzt und Gelder requiriert. Die erbetene Verstärkung aus Leuna lehnte der dortige Aktionsausschuß ab. Einer Hundertschaft aus Halle gelang die Befreiung der in Beesen eingeschlossenen

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Schupo, aber für die Besetzung Ammendorf's war sie zu schwach. Der Angriff wurde erfolgreich abgewehrt. Eine weitere Hundertschaft konnte lediglich den Bahndamm der Strecke Halle - Kassel besetzen. Am Nachmittag griffen von Halle aus noch zwei weitere Hundertschaften an, die auf bewaffneten Widerstand der Arbeiter in Kanena, Bruckdorf und Radewell stießen. Gleichzeitig gingen 2 Schupohundertschaften am Südrand Ammendorfs von Merseburg aus zum Angriff über. Es entstand ein stundenlanger erbitterter Häuserkampf der bis in die Nacht hinein andauerte.
Die bewaffneten Arbeiter mußten vor den von Osten Nordwesten und Süden mit Maschinengewehren Artillerie, Gas- und Flammenwerfern angreifenden Polizeieinheiten zurückweichen. Es gab eine Reihe von Toten, Verwundeten und Gefangenen. Max Hoelz wurde von Bergarbeitern im Inneren einer Kohlengrube versteckt. Auf die Niederlage der Arbeiterschaft folgte am 29.03.1921 ein Sieg der Versprengten zusammen mit Arbeitern aus dem Bitterfelder Revier bei Gröbers.
Am 02.06.1926 findet im Saal der Gaststätte im Ortsteil Burg eine Veranstaltung mit der Frau von Max Hoelz unter dem Motto "Heraus mit den poltischen Gefangenen" statt. Auf dem Weg nach dort entwickelt sich eine gewaltige Demonstration.
Nach seiner Entlassung am 18.07.1928 spricht Max Hoelz u.a. auch in Ammendorf. Auf dem 1904 errichteten Ammendorfer Friedhof befindet sich rechts neben der Halle eine Gedenkstätte für die Gefallenen der Märzkämpfe.

Am Ende des 2. Weltkrieges besetzten im April 1945 amerikanische Truppen Ammendorf. Entsprechend den alliierten Festlegungen zogen im Juli 1945 sowjetische Truppen ein.
Ein besonders brisantes Objekt war die auf Weisung des Oberkommandos der Wehrmacht von 1935-1938 erbaute Fabrik für chemische Kampfstoffe Orgacid GmbH. Gegründet von der Theodor Goldschmidt AG gehörte sie dieser und der Degussa AG in Frankfurt/Main je zur Hälfte.
Wer heute die Industriestiestraße in Richtung Osten befährt, stößt genau auf das einzige erhaltene Gebäude, die ehemalige Verwaltung. Ab 1938 wurde der Kampfstoff Gelbkreuz (Schwefellost) in riesigen Mengen produziert , insgesamt 22 000 Tonnen. Im Jahre 1944 verließen 816 Waggons mit Sprühbehältern, Fliegerbomben und chemischer Artillenemunition das Werk. Nur wenige Tropfen genügten um tödliche Verätzungen zu verursachen . Arbeiter, die in Kontakt mit den Produkten kamen, arbeiteten unter Vollschutzkleidung. Trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen kam es zu vielen Unfällen.
Am 13.04.1945 wurde die Produktion abrupt eingestellt und am 19.04.1945 besetzten die Amerikaner das Werk. Wichtige Dokumente wurden mitgenommen, bevor die sowjetischen Truppen einrückten. Die zum Teil schon während des Krieges dienstverpflichtete Belegschaft wurde unter Strafandrohung zu Aufräumungs- und Demontagearbeiten ohne die erforderliche Schutzausrüstung gezwungen und das gesamte Werk auf Veranlassung Stalins vom 03.08.1945 demontiert und nach Tschpajewsk gebracht.
In Folge des Krieges produzierte die ehemalige Gottfried Lindner AG nunmehr ausschließlich Weitstreckenwagen für die Sowjetunion und China.
Empfindlich getroffen wurde die Ammendorfer Industrie durch die komplette Demontage der bereits im Abschnitt Radewell beschriebenen modernen Papierfabrik.
Die Eingemeindung zu Halle/Saale beginnend am 01.07.1950, bildet einen weiteren Meilenstein in der Geschichte Ammendorfs.
Zusammengefaßt die Bevölkerungsentwicklung bis zu diesem entscheidenden Ereignis 1400 19 Kossatenhöfe im Besitz derer von Kotze
1600 31 Höfe

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1618 36 Höfe das entsprach der Größe eines angesehenen Dorfes im Saalkreis
1648 15 Häuser (nach dem 30-jährigen Krieg)
1785 51 Feuerstätten 257 Einwohner
1825 53 Häuser 277 Einwohner [Beesen]
1865 570 Einwohner [475 Einwohner]
1885 1 198 Einwohner [847 Einwohner]
1900 1 880 Einwohner [1147 Einwohner]
1910 4 007 Einwohner [1709 Einwohner]
1919 6 267 Einwohner (inkl. Beesen)
1920 12 000 Einwohner (inkl. 4 900 nach Eingemeindung von Planena, Osendorf Burg und Radewell)
1933 15 000 Einwohner
1950 21 000 Einwohner

1998 wurde der Waggonbau Ammendorf von der kanadischen Firma Bombardier übernommen, 2005 schloss man das traditionsreiche und hochmoderne Werk, die letzten 400 der ehemals über 4800 Beschäftigten verloren ihren Arbeitsplatz.

Ammendorf wurde zum Stadtbezirk S11 und befand sich von nun an am Rande einer Großstadt, die auch heute wenig Interesse und Geld für diesen Stadtteil übrig hat.

 

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